Donnerstag, 1. April 2010

Bekannt ist die Erklärung zur Intention Eckharts aus dem Kommentar zum Johannesevangelium. Danach will Eckhart die Lehren der Bibel, das heißt die theologischen Aussagen, mit natürlichen, philosophischen Argumenten auslegen.
An diese Absichtserklärung schließt sich im Kommentar zum Johannesevangelium eine zweite Intention an, die viel häufiger wiederholt und exemplifiziert wird als die erste: „Ferner will dieses Werk zeigen, wie die Prinzipien, Schlussfolgerungen und die Eigenart der Naturverhältnisse ganz gut – wer Ohren hat zu hören! – in den Worten der Heiligen Schrift angedeutet sind, wenn man die Schrift mittels der besagten Naturverhältnisse auslegt“. Mit anderen Worten: Das Verständnis der Naturverhältnisse erklärt die biblischen Lehren, und die so verstandenen theologischen Aussagen erhellen wiederum die Naturverhältnisse. Meister Eckhart fügt ein: „Wer Ohren hat zu hören“; damit sagt er wohl, dass ihm der Satz wichtig ist und dass dessen Bedeutung aber leicht überhört werden kann. An etwas späterer Stelle desselben Kapitels, an der erläutert wird, inwiefern in Gott der Sohn oder das Wort dasselbe ist wie der Vater oder das Prinzip, heißt es: „Das möchte ich gesagt haben, insofern die hier über den Ausgang der Personen in Gott geschriebenen Worte [uns] darüber belehren sollen, dass es im Ausgang und in der Hervorbringung eines jeden natürlichen und künstlichen Seienden ebenso ist und sich dort wiederfindet“.
Hier proklamiert Eckhart seine Absicht, die fundamentalen Prinzipien seiner Gotteslehre auf die Natur (_natura_) und die Kunst (_ars_) anzuwenden. _Ars_ steht für die Hervorbringungsweise menschlichen Schaffens. _Natura_ umfasst das Sein aller Weltdinge, besonders aber der natürlichen menschlichen Seinsweisen, deren Prinzip, qua Schöpfungswort, die Vernunft ist.
Diese Erläuterung wird in die Erklärungen des Prologs des Johannesevangeliums eingefügt. Das bedeutet: Nach Eckharts Verständnis haben die natürlichen Hervorbringungen des Menschen dieselbe ‚Produktionsweise’ wie der Hervorgang des göttlichen Sohnes in der Trinität aus dem Vater. Sie sind nicht „gemacht“, sondern „gezeugt“ oder „geboren“. Es ist demnach nicht von naturalistischer Physik oder Biologie die Rede, sondern vom Strukturprinzip, von der Idee aller Dinge – in der Vernunft.
In einer Engführung dieses Interpretationsansatzes lege ich die Aussagen Meister Eckharts über das Verhältnis Gottes zu den Menschen und die Aussagen Eckharts über das geistige Leben des Menschen mit modernen „philosophischen“ Argumenten aus. Der theologischen Methode Eckharts entspricht demnach eine phänomenologische Methode im Bereich der Psychologie. Eckharts metaphysische Theorie soll nach seinen Worten eine „natürliche“ Korrespondenz haben. Diese gilt es in den Phänomenen des psychischen, des mentalen Lebens „aufzuzeigen“.

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