Freitag, 19. März 2010

"Gottesgeburt" in der Seele

Die folgenden Überlegungen knüpfen an den vorausgehenden Eintrag über die Gottesgeburt an.
„Gottesgeburt in der Seele“ ist eine Metapher, die heutzutage schwer zu verstehen ist. Wir wissen weder, was Gott noch was Geburt noch was Seele uns bedeuten sollen. Am leichtesten haben wir es im psychologischen Zeitalter noch mit der Seele. Wir können das Wort durch Bewusstsein ersetzen, wenn wir dieses nicht zu eng fassen und wenn wir zum Beispiel das "Unbewusste" einschließen. Aber auch dies ist nicht einfach als Ort oder Instanz zu verstehen, sondern als ein Sammelbegriff für innere Bewegungen, die unser Erleben und Verhalten einfärben, ohne dass wir davon wissen. So ist zum Beispiel das Gehen keineswegs bloß eine physikalische Fortbewegung oder ein orthopädisches Sehnen-, Muskel- und Knochenarangement, das von Nervensystem gesteuert wird, sondern Gehen ist auch ein Bewusstseins- oder besser ein seelischer Vorgang. Für den modernen trainingerfahrenen Zeitgenossen ist das am ehesten einleuchtend, wenn er bedenkt, dass die "bewusste" Haltungskorrektur zu einem trittfesten Schreiten erhobenen Hauptes eine emotionale Umstimmung 'bewirken' kann. "Bewirken" sagt der technisch zweckrationale Zeitgeist, für das Erleben aber ist die 'äußere' und die 'innere' Haltung des Erhobenseins eines: Das aufrechte Schreiten ist eine Erscheinungsweise des gehobenen Gemüts. So kann der Gemütszustand und damit die Haltung umgekehrt auch dem Bewusstwerden vorausgehen, und so ist es meistens. Das Gestimmtsein tönt unsere Lebenshaltung und unser Erleben mit verschiedenen Färbungen ein, und oftmals merken wir es gar nicht oder erst im Nachhinein.
Wenn wir uns also die Gottesgeburt in der Seele in unsere zeitgenössischen Erfahrungsmuster übersetzen wollen, so können wir an diesen Bereich der Stimmungen und Haltungen denken, die vorwiegend unbewusst sind, aber das Gefühl, die Laune, ja sogar die Kreatvität und das problemlösende Denken zu beflügeln oder zu hemmen vermögen.
Hier werden sich zwei Fragen anknüpfen:
1. Ist es legitim, den metaphysischen Prozess in unsere (scheinbar) empirische psychologische Ebene zu übertragen?
2. Was bringt eine solche Übertragung für Eckharts Lehre von der Gottesgeburt?

Montag, 15. März 2010

Meister Eckhart für heute?

Ein halbes Jahr lag dieser Blog im Schweigen. Jetzt habe ich vor, ihn wieder regelmäßig mit Einträgen fortzusetzen.

Am vergangenen Wochenende, vom 12.-14.03.2010, fand in München gemeinsam mit der Katholischen Akademie in Bayern die Jahrestagung der Meister-Eckhart-Gesellschaft statt. Dort hat sich mir gezeigt, dass das Interesse des Publikums sehr groß ist, darüber nachzudenken, ob Meister-Eckhart eine Bedeutung für unser gegenwärtiges Leben hat. Dieser Fragestellung will ich weiterhin und verstärkt nachgehen.

Meine Grundhaltung bei dieser Suche habe ich auf dieser Tagung so formuliert:

Wer Eckhart für sein Leben gewinnen will, muss Eckhart den Lesemeister fragen, worin denn das Außergewöhnliche seiner Lehre besteht, denn dass seine Lehre außergewöhnlich und ihm allein eigen ist, betont er oft genug selbst.

Eckhart auf unser Leben hin lesen heißt nicht, ihn schlicht zu modernisieren, ihm Lebensweisheiten und Lebensregeln zu entnehmen. Das kann man natürlich mit großem Gewinn tun. Aber man würde dann auf den Kern der Lehre Eckharts verzichten. Man würde damit an der durchgängigen Intention seiner Predigt vorbeigehen, ein neues Selbstverständnis zu gewinnen: dass wir nämlich unserem Wesen nach nicht hergestellte lebende Objekte oder entartete Tiere sind, sondern Bild Gottes, seine Töchter und Söhne.

Das soll die Tendenz der von nun an regelmäßig folgenden Einträge sein.

Karl Heinz Witte